Maßregelvollzug in Hessen ist zukunftsfähig

Haina(pm). Nach zweieinhalbjähriger Bauzeit wird der Ersatzneubau für die Vitos Klinik für forensische Psychiatrie Haina Ende April in Betrieb genommen. Die ersten Patientinnen und Patienten werden Mitte Mai aus dem Bestand in den Neubau verlegt. Die Hessische Landesregierung hat die Realisierung des Ersatzneubaus mit 65,6 Millionen Euro gefördert. „Mit dem Neubau in Haina werden die Voraussetzungen für ein noch besseres Arbeitsumfeld geschaffen, in dem hohe medizinische Fachkompetenz und pflegerische Qualität den Patientinnen und Patienten zugutekommen kann“, sagte Dr. Sonja Optendrenk, Staatssekretärin im Hessischen Ministerium für Familie, Senioren, Sport, Gesundheit und Pflege (HMFG) während des Festaktes zur bevorstehenden Fertigstellung. „Die Bereitschaft, dem stetigen Wandel zu begegnen, macht die Klinik für forensische Psychiatrie Haina zu einem attraktiven Arbeitgeber für die gesamte Region“, betonte die Staatssekretärin. „Mit dem Ersatzneubau zeigen wir, dass der Maßregelvollzug in Hessen modern und zukunftsfähig ist. Außerdem investieren wir mit dem Neubau in moderne Behandlungsmethoden und schaffen eine Umgebung, die sowohl den Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten als auch den Anforderungen der Fachkräfte gerecht wird.“
Therapie und Sicherheit
„Forensische Kliniken müssen den Spagat vollbringen, Therapie und Sicherheit miteinander zu verbinden. Da spielen äußere Rahmenbedingungen oft eine große Rolle“, sagte Susanne Simmler, LWV-Landesdirektorin und Vitos Aufsichtsratsvorsitzende. „Dieser Neubau ermöglicht es idealerweise, beiden Aspekten bestmöglich gerecht zu werden.“


Sieben Stationen und 154 Behandlungsplätze
Der Klinikneubau bietet auf sieben Stationen, verteilt auf zwei Gebäude, Platz für die Behandlung von 126 psychisch kranken Rechtsbrechern, die von Gerichten nach § 63 Strafgesetzbuch (StGB) im Maßregelvollzug untergebracht wurden. Hinzu kommt eine Funktionsreserve von 28 Betten, um jederzeit aufnahmefähig zu sein. In den vergangenen Jahren ist die Zahl der psychisch erkrankten Patienten, die im hessischen Maßregelvollzug untergebracht sind, deutlich gestiegen. Derzeit werden hessenweit 727 psychisch Kranke in den Vitos Kliniken für forensische Psychiatrie behandelt, 245 mehr als 2016. Ein Ende dieser Entwicklung sei nicht absehbar und stelle die Kliniken vor große Herausforderungen, vor allem mit Blick auf den Personalbedarf,
erläuterte Reinhard Belling, Vorsitzender der Vitos Konzerngeschäftsführung: „Wir haben für unsere forensischen Kliniken einen steigenden Personalbedarf. In den nächsten Jahren werden wir durch anstehende Kapazitätserweiterungen alleine im Pflegedienst hessenweit rund 150 zusätzliche Vollzeitstellen benötigen.“ Auch in Haina werden zusätzliche Stellen geschaffen, in den vergangenen beiden Jahren wurden bereits 73 Pflegekräfte neu eingestellt.

Blick in einen Gemeinschaftsraum mit angrenzender Küche, die auch für therapeutische Arbeit genutzt wird. Foto: Vitos Haina

Verweildauer unter dem Bundesdurchschnitt
Im Wettbewerb um die dringend benötigten Fachkräfte im Gesundheits- und Sozialwesen könnten die Maßregelvollzugseinrichtungen in Hessen unter anderem mit ihrer erfolgreichen Arbeit punkten. „Im Vergleich zu anderen Bundesländern haben wir eine der geringsten Verweildauern und liegen konstant unter dem Bundesdurchschnitt“, sagte Belling. Die Behandlungsqualität, auch in der forensisch-psychiatrischen Nachsorge, sei so hoch, dass nur wenige Patienten nach ihrer Entlassung erneut straffällig werden. Auch die Hainaer Klinik ist seit Herbst vergangenen Jahres wieder einem massiven Belegungsdruck ausgesetzt. Im März wurden bis zu 251 Patientinnen und Patienten in der Klinik behandelt. 122 Patientinnen und Patienten werden weiter im Altbestand untergebracht und behandelt, wobei fünf der sieben Stationen im Laufe des Jahres ebenfalls saniert werden. „Im Gesundheitswesen existiert längst ein Wettbewerb um Fachkräfte. Sie können sich aussuchen, bei welchem Arbeitgeber sie sich mit ihrer gefragten Expertise einbringen“, sagte Dr. Philipp Kirchner, Geschäftsführer von Vitos Haina. „In unserer Vitos Klinik für
forensische Psychiatrie bieten wir nicht nur inhaltlich ein spannendes Arbeitsfeld, sondern insbesondere im Ersatzneubau auch ein höchst attraktives Arbeitsumfeld. Wir werden ein neues Kapitel in der Versorgung psychisch kranker Rechtsbrecher am Standort Haina beginnen.“ Der Ersatzneubau biete ideale Voraussetzungen, um unserem Auftrag in hohem Maße gerecht zu werden und auch in Zukunft einen hohen Behandlungserfolg zu gewährleisten.


Passender Rahmen für erfolgreiche Konzepte
„Mit dem Ersatzneubau wurden baulich modernste forensische Strukturen realisiert“, freut sich Ärztlicher Direktor Dr. Sven Krimmer. „Die Klinik in Haina steht bundesweit seit Jahrzehnten als eine Art ‚Benchmark‘ für optimale Therapieformen und Behandlungsergebnisse im Maßregelvollzug. Mit dem Ersatzneubau bekommen die erfolgreichen Konzepte in Haina den passenden strukturellen Rahmen. Aus meiner Sicht hat das Land Hessen mit dem Neubau ein echtes forensisches Statement gesetzt, um die großen Herausforderungen der Zukunft meistern zu können.“
„Psychiatrische Pflege im Maßregelvollzug gewinnt auf Grund wachsender Patientenzahlen als Arbeitsfeld zunehmend an Bedeutung“, sagte Pflegedirektorin Gudrun Gaertner. „Nur in wenigen Einsatzgebieten haben Pflegende solch große Möglichkeiten, den Behandlungsprozess aktiv mitzugestalten, wie in der forensisch-psychiatrischen Behandlung. Durch die zentrale Funktion in der täglichen Erfassung und Bewertung von prognose- und behandlungsrelevanten Informationen über Patientinnen und Patienten arbeiten Pflegende in der Kriminaltherapie auf Augenhöhe im Team mit allen Behandlern.“
Planung ab 2019, Baubeginn 2023
Vitos, Vitos Haina und das Hessische Ministerium für Familie, Senioren, Sport, Gesundheit und Pflege (HMFG) als Fachaufsicht für den Maßregelvollzug in Hessen hatten 2019 die Planung des Ersatzneubaus initiiert. In enger Abstimmung mit dem Landkreis Waldeck-Frankenberg und der Gemeinde Haina wurden in der Folge die rechtlichen Voraussetzungen für den Neubau geschaffen. Die Freimachung des Baufelds im Hoher-Lohr-Weg begann im Herbst 2022. Unter anderem mussten 33.000 Kubikmeter Erde bewegt werden. Nach Erteilung der Baugenehmigung im Februar 2023 starteten einen Monat später die Rohbauarbeiten. Seit Herbst vergangenen Jahres läuft der Innenausbau.
Vier Baukörper und 7000 Quadratmeter Fläche
Der Ersatzneubau gliedert sich in vier Baukörper: eine vorgelagerte Sicherheitszentrale mit angrenzenden Funktionsräumen, eine Sporthalle, ein dreigeschossiges Gebäude und ein anschließendes viergeschossiges Gebäude. Die Nutzfläche beträgt insgesamt rund 7000 Quadratmeter. Auf den sieben Stationen stehen maximal 154 Behandlungsplätze zur Verfügung. Die
Patientinnen und Patienten werden durchweg in Ein- oder Zwei-Bett-Zimmern untergebracht. Aufgrund des Belegungsdrucks werden aktuell im Altbestand zum Teil sogar noch Drei- oder Vier-Bett-Zimmer vorgehalten. In den nächsten Tagen nimmt die neue Sicherheitszentrale ihren Betrieb auf. Sie ist rund um die Uhr besetzt. Die ersten drei Stationen sollen Mitte Mai bezogen werden, etwa vier Wochen später folgen weitere zwei Stationen. Parallel werden bis Ende des Jahres drei Gebäude im Altbestand saniert. Mit dem Umzug der siebten Station wird Ende August der Neubau vollbezogen sein. Der letzte Umzug im Altbestand ist für Frühjahr nächsten Jahres geplant. Für die freien Gebäude auf dem Vitos Campus, der älteste Trakt ist aus dem Jahr 1870, werden derzeit Nachnutzungskonzepte diskutiert.
Führung durch den Ersatzneubau
Nach dem Festakt mit geladenen Gästen aus Politik, Justiz, Wirtschaft und Gesundheitswesen im historischen Kapitelsaal von Vitos Haina führten Geschäftsführer Dr. Philipp Kirchner, Ärztlicher Direktor Dr. Sven Krimmer und Pflegedirektorin Gudrun Gaertner durch den Neubau im Hoher-Lohr-Weg in Haina.